Als weltweit meistverbreitete Maschinensicherheitsnorm sorgt die IEC 60204-1 seit vielen Jahren für die sichere Auslegung der elektrischen Ausrüstung von Maschinen und Anlagen. Die deutsche bzw. europäische Version wurde 2019 aktualisiert und ist seit Mitte September 2021 verpflichtend für Maschinen-, Anlagen- und Schaltschrankbauer. Dieser Blogbeitrag liefert Kontext zum Thema Normung und listet die wichtigsten acht Änderungen der DIN EN 60204-1 in der Version 6 im Vergleich zur Vorgängerversion auf, die auf der IEC 60204-1 von 2005 basierte.
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Jede Maschine oder Anlage, die in der Europäischen Union (EU) in Verkehr gebracht wird, benötigt ein CE-Kennzeichen. Mit diesem erklärt der Hersteller, dass sein Produkt alle relevanten in der EU geltenden rechtlichen Anforderungen erfüllt. Dabei besteht das Ziel des CE-Kennzeichens darin, zu dokumentieren, dass die in den EU-Richtlinien definierten Sicherheitsanforderungen erfüllt werden.
EU-Richtlinien wie die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG und die Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU legen für Produkte allgemeine Mindeststandards an Sicherheits- und Arbeitsschutzanforderungen fest. Wie diesen konkret entsprochen werden kann, wird in gesonderten technischen Spezifikationen definiert, den sogenannten harmonisierenden Normen. Für die elektrische Ausrüstung von Maschinen ist die DIN EN 60204-1 die harmonisierende Norm, auf die beide oben genannte Richtlinien Bezug nehmen. Die DIN EN 60204-1 gilt für elektrische, elektronische und programmierbare elektronische Ausrüstungen und Systeme für Maschinen und Gruppen von vernetzten Maschinen, einschließlich Schaltschrankbau.
Grundsätzlich deckt die DIN EN 60204-1 Geräte und Bauteile ab, die mit Nennspannungen bis einschließlich 1.000 V Wechselspannung oder 1.500 V Gleichspannung und mit Nennfrequenzen bis einschließlich 200 Hz betrieben werden, im Feld oder im Schaltschrank. Dabei lässt sie sich auf die komplette elektrische Installation einer Maschine anwenden – ausgehend vom ankommenden Netzkabel an Klemmen oder Hauptschalter.
Im übergeordneten Normenkontext kommt der DIN EN 60204-1 zusammen mit der EN ISO 12100, der EN ISO 13849 sowie der IEC 62061 eine wichtige Rolle für die Funktionale Sicherheit von Maschinen zu.
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Wie grenzt sich die EN 60204-1 von der EN 61439 ab? Nun, die EN 60204-1 ist wie oben erwähnt sowohl in der EU Maschinenrichtlinie als auch in der Niederspannungsrichtlinie gelistet. Die EN 61439-1 hingegen bezieht sich lediglich auf die EU Niederspannungsrichtlinie. Wer Maschinen bauen und in den Verkehr bringen will, ist dazu verpflichtet, grundsätzlich die EN 60204-1 anzuwenden. Er darf bei der elektrischen Ausrüstung seiner Maschine Bauteile gemäß der EN 61439 verwenden. Für die Sicherheit einer Maschine reicht die EN 61439 alleine nicht aus.
Die sechste Version der DIN EN 60204-1 spiegelt die Aktualisierungen wider, die bereits 2016 in der IEC 60204-1 festgelegt wurden. Sie enthält einige Korrekturen, Erläuterungen und Konkretisierungen, jedoch keine wesentlichen Änderungen oder grundlegend neuen Aspekte. So werden unter anderem die grundlegenden Sicherheitsanforderungen an die elektrische Ausrüstung vertieft, einige Kapitel (z.B. Dokumentation) neu aufgelegt und informative Anhänge als hilfreiche Leitfäden bei der Projektierung (z. B. Anhang F) und Dokumentation (z. B. Anhang I) ergänzt. Dies sind die wichtigsten acht Änderungen im Überblick:
Das Kapitel 4.2.2. zum Thema Schaltgerätekombination enthält nun einen Hinweis auf die IEC 61439 und Anhang F. Folglich darf ein Techniker bei der Projektierung einer Schaltgerätekombination die IEC 61439 ganz oder teilweise zusätzlich anwenden.
Ergänzend zu den im Kapitel 4.4.2. definierten Anforderungen zur Elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) steht ein umfangreicher Anhang H zur Verfügung, der nützliche Informationen zu den Maßnahmen und empfohlene Vorgehensweisen zur Erfüllung der EMV-Anforderungen enthält. Hinzugefügt wurde auch ein Verweis auf die IEC 61000 Normenserie.
Während im Kapitel 4.4.5 bei den Umgebungsbedingungen die Höhenlage hinzugekommen ist, werden im Kapitel 4.4.8. nun auch Vibration, Stoß und Schock aufgeführt. Zu beachten ist, dass es sich bei den Vibrationen entweder um solche von der Maschine selbst erzeugte oder durch äußere Einwirkungen generierte handelt (z. B. bei Einsatz eines mobilen Geräts).
Im Kapitel 5 wurden einige Anforderungen neu aufgenommen. Hervorzuheben sind hier primär die Einrichtungen zur Unterbrechung der Energiezufuhr zur Verhinderung von unerwartetem Anlauf. Zudem enthält die Norm einen komplett überarbeiteten Abschnitt zur Bedienvorrichtung der Netztrenneinrichtung.
Neu im Kapitel 7 ist das Thema Erdschluss-/Fehlerstromschutz – mit Verweis auf Fehlerstromschutzeinrichtungen (RCD) gemäß der IEC/TR 60755.
Die bedeutendste Änderung besteht darin, dass jetzt der Bemessungskurzschlussstrom der gesamten elektrischen Ausrüstung zu ermitteln und anzugeben ist. Die Norm schreibt hierzu keine konkreten Verfahren vor, sondern verweist auf Methoden nach der IEC 61439-1, IEC 60909-0, IEC/TR 60909-1 oder IEC/TR 61912-1. Somit lassen sich sowohl Konstruktionsregeln und Berechnungen anwenden, als auch Typprüfungen vornehmen.
In der aktuellen Version unterscheidet die Norm eindeutig zwischen der Betätigung der Netztrenneinrichtung, um ein NOT-HALT oder ein NOT-AUS zu bewirken. Besteht das Risiko einer mechanischen Gefährdung, so erfordert dieses Szenario ein NOT-HALT. Hierzu zählen z. B. das kontrollierte Fahren in eine sichere Position oder das Stoppen einer Bewegung. Geht es um ein elektrisches Gefährdungspotenzial, so verlangt die Norm nach einer NOT-AUS-Funktion, mit der die elektrische Energiezufuhr unterbrochen wird.
In puncto Schaltgeräte legt die Norm ein besonderes Augenmerk auf das Thema Wärmewirkung, um die Überhitzung eines Systems im Betrieb zu verhindern. So fordert sie sowohl eine Wärmeberechnung als auch die Erstellung einer Wärmebilanz. Als mögliches Verfahren zur Berechnung verweist sie auf die IEC 61439.
Während in der Vorgängerversion der Norm Fehlerstromschutzeinrichtungen (RCD) für Steckdosenkreise bis 20 A optional waren, sind sie in der aktuellen Version generell vorgeschrieben – und zwar mit einem Bemessungsdifferenzstrom von IΔn ≤ 30mA.
Mit der Aktualisierung wurden die Anforderungen an die technische Dokumentation umfassend überarbeitet. Das Resultat: Es sind nur noch notwendige Dokumente gefordert. Gemeint sind damit Dokumente, die ein Hersteller zwingend für seine Maschine erstellen muss, um den kompletten Lebenszyklus abzudecken. Hierzu zählen Informationen zu Identifizierung, Transport, Errichtung, Gebrauch, Wartung, Außerbetriebnahme und Entsorgung der elektrischen Ausrüstung. Im Anhang I der Norm finden Maschinenbauer Hilfestellung in Form einer Tabelle mit den empfohlenen Dokumenten.
Im Zuge einer umfangreichen Überarbeitung auch dieses Kapitels wurde die Prüfung von Power Drive Systemen (PDS) aufgenommen. Dabei geht es darum, dass die Bedingungen zum Schutz durch automatische Abschaltung der Stromversorgung im Fehlerfall zu überprüfen sind. Dies gilt ebenfalls für Fälle, bei denen ein Frequenzumrichter oder Servoantrieb zum Einsatz kommt. Auch hier ist sicherzustellen, dass ein Fehler im Feld zur Abschaltung führt. Wie dies umgesetzt wird, legt die Norm nicht fest. Grundsätzlich sieht sie eine Überprüfung der Durchgängigkeit des Schutzleiters sowie eine Überprüfung der Schleifenimpedanz vor.
Die Neuerungen, die Maschinen- und Anlagenbauer mit der sechsten Version der DIN EN 60204-1 zu beachten haben, halten sich in Grenzen. Entscheidend bleibt, dass sie ausschließlich Produkte für die elektrische Ausrüstung und Schaltgerätetechnik auswählen, die dem neuesten Stand der Normung entsprechen. Nur so lässt sich sicherstellen, dass Maschinen und Anlagen maximale Sicherheit und Verfügbarkeit bieten.
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